Reserva Nacional de Fauna Andina

10 01 2011

20./21.12.2010, Tag 76/77

Als letzte von mehreren Jeep-Gruppen, die im Salzhotel genächtigt haben, starten wir zum zweiten Teil unserer Tour durch den tiefen Süden Boliviens mit dem Ziel Reserva Nacional de Fauna Andina Eduardo Avaroa. Die Fahrt über die Naturstrasse ist mühsam und wir kommen nur langsam voran. Eine kleine Abwechslung bieten uns hier Vicuña-Herden, eine kleine Version des Lamas, welche neben der Strasse grasen. Wir machen Station in einer Art Mondlandschaft, wo das Highlight eigentlich der Ausblick auf den benachbarten (aktiven) Vulkan Ollagüe sein soll, der munter seine Rauchwolke ausstösst. Wir begeistern uns allerdings fast noch mehr für die bizarren Gesteinsformationen, deren rötliche Färbung an den Grand-Canyon erinnern.

Kurze Zeit später erreichen wir die Lagune Cañapas und staunen nicht schlecht: Über das flache Gewässer verteilt sehen wir hunderte Flamingos, die eingerahmt von der Bergkulisse im Hintergrund ein fantastisches Bild abgeben. Als wir aussteigen und Richtung Wasser gehen kommt eine Herde Vicuñas vorbei und fängt direkt vor unseren Objektiven, in maximal 10 Meter Entfernung, an zu grasen! Was ein Bild diese beiden Tierarten zum ersten mal in freier Natur zu sehen, so nahe und vor so einer Kulisse. Als Zugabe kommt bei unserer Abfahrt noch ein Andenfuchs in Richtung des Autos. Wir zücken hektisch die Kameras in Annahme er würde schnell wieder verschwinden, aber im Gegenteil schaut er bettelnd Richtung Auto um vielleicht die ein oder andere Futterspende zu ergattern. Zum Mittagessen machen wir an der Lagune Chiarcota Station, die das selbe Schauspiel bietet wie die erste Lagune, nur alles nochmal eine Nummer grösser. Dazu kommt die Sonne raus und die auf der Lagunen verteilten Salzkrusten beginnen sich zu spiegeln. Was ich jetzt schon weiss: Diese Tour hat sich auf jeden Fall gelohnt und zusammen mit unseren beiden neuen Reisepartnern haben wir zudem noch jede Menge Spass 🙂 Nach dem Essen machen wir noch einen kurzen Spaziergang zum Aussichtspunkt oberhalb der Lagune, von wo aus die Berge im Hintergrund wie ein „Sandbild“ wirken. Die Eindrücke sind so fantastisch, dass man sie kaum alle in so kurzer Zeit verarbeiten kann.

Die Jeeps brausen nun über die weite Ebene im Stile der „Rallye Dakar“, die in wenigen Wochen in Argentinien und Chile stattfindet. Wir stoppen an einer Felswand und entdecken eine Art Chinchillas, dort seelenruhig sitzen und die Szenerie beobachten. Das nächste Ziel ist der „Arbol de Piedra“, ein „Baum aus Stein“, der neben diversen anderen skurilen Felsformationen mitten in der Wüste steht. Wir machen an der Rangerstation halt um unseren Eintritt für den Nationalpark zu entrichten und fahren weiter zur Laguna Colorada. Ich dachte ich hätte heute schon alles gesehen, aber das toppt nochmal alles bisherige: Vom Mirador auf einer Halbinsel mitten im See breitet sich vor uns ein bunter Teppich in allen Farben aus: Verschiedene blau- und grüntöne, türkis, rot, lila, orange und pink. Dazu die weisse Salzkruste im Hintergrund und (fast schon obligatorisch) die Flamingos als zusätzliche Farbtupfer mittendrin oder im Flug darüber. Unglaubliche Bilder! Wenn ich es nicht besser wüsste würde ich denken ich bin bekifft, dass ich solche Farben in einem Gewässer sehe^^ Es ist ziemlich kalt und dank meinem Optimismus am heutigen Morgen stehe ich nun in kurzer Hose, mit zwei Pullis und Mütze da, aber was macht das schon bei so einer Kulisse?!

Unseren Schlafplatz für die Nacht finden wir in einem einfachen Hostel am Rande der Lagune. Abends sitzen wir in einer fast ausschliesslich deutschen Runde zusammen und tauschen Reisetipps mit den Travellern, die gerade aus Chile kommen, aus, ehe wir uns in unsere Schlafsäcke legen. Denn heute Nacht wird es richtig kalt…

Als ich am nächsten Morgen um kurz nach fünf vor die Tür gehe ist Frost auf der Scheibe unseres Autos! Zeit für meinen neuen Poncho 🙂 Der Grund für den frühen Abfahrtszeitpunkt ist der Besuch der Geysire „Sol de Mañana“ die Morgens am aktivsten sind. Schon von weitem sehen wir eine in den Himmel schiessende Frontäne aus Dampf. Wir halten an und begutachten das beeindruckende Schauspiel, bis ich nach einer Weile feststelle, dass hier ein Rohr in den Boden geschlagen wurde, wahrscheinlich um die Gase beim Austritt zu kanalisieren und das ganze spektakulärer zu machen. So einer Nachhilfe hätte es eigentlich nicht bedurft, denn die kleinen Vulkanhügel ein stückchen weiter aus denen die grossen Wolken herausdampfen finde ich ebenso sehenswert. Teilweise lässt sich erkennen wie der Boden aufgebrochen sein muss und auf selbigen finden sich Ablagerungen von Lava und Schwefel.

Das Finale dieser Tour findet in den Thermalquellen von Chalvin statt. Während man sich draussen gerade so langsam der Jacke entledigen kann, sitzen wir in einem 35 Grad warmen Becken, welches am Rande des flachen Gewässers eingemauert wurde und geniessen das höchste Bad unseres Lebens auf knapp über 4000 Metern Höhe. Unser Fahrer kann dieses Gefühl leider nicht teilen und bläst oder besser winkt zum Aufbruch. Denkste! Denn warum auch immer springt unser Toyota nicht an und so muss der Fahrer eines anderen Fahrzeugs sich in den Motor hängen und daran rumschrauben. Nach 20 Min. ist das Unternehmen dann von Erfolg gekröhnt und wir brechen auf Richtung der Grenze nach Chile. Unterwegs geben wir unseren Ersatzreifen an einen anderen Wagen weiter, der mit einer Reifenpanne in der Wüste steht und scheinbar kein Reserverad dabei hat. So schnell gleicht es sich wieder aus!

Wir reflektieren während der Fahrt die letzten Tage und es drängt sich fast der Eindruck auf das Gesehene sei irgendwie gestellt und fangen an darüber Witze zu machen. Man fährt durchs Nichts und an jeder Ecke ist irgendetwas beeindruckendes: Eine Salzwüste mit einer Kakteeninsel, bunte Lagunen, wirre Gesteinsformationen, Geysire und wilde Tiere aus nächster Nähe, fast antike Lokomotiven, Hotels aus Salz und eine Fahrt im Stile einer Wüstenrally, Pannen inklusive! Klingt irgendwie wie in einem Outdoor-Freizeitpark, aber das ist einfach nur die unvergleichbar wilde Natur Boliviens! Das ärmste Land dieses Kontinents hat bei mir ebenfalls Eindruck hinterlassen und obwohl wir nach nur 2 Wochen wieder ausreisen bin ich froh diesen noch ziemlich „echten“ Teil Südamerikas gesehen zu haben. Die Natur dieser rauen Gegend hat, wie die letzten Tage gezeigt haben, eine unglaubliche Schönheit. Dazu natürlich noch der nette Nebeneffekt das Bolivien für Budgetreisende wie uns ein absoluter Traum ist. Alles in allem verlasse ich das Land wie schon zuvor Ecuador und Peru mit dem Gedanken gerne länger geblieben zu sein, aber wir müssen ein wenig auf unseren Zeitplan achten und der gibt momentan leider nicht mehr her. Im Gegenzug freue ich mich unheimlich auf Chile, das einzige Land, dass ich vorher schon mal bereist habe und in dem ich seit meinem Aufbruch zum ersten mal wieder Menschen treffen werde, die ich schon vor dieser Reise gekannt habe. Dazu steht Weihnachten und Silvester vor der Tür, also: „Vamos a Chile!“

So erreichen wir den „Grenzposten“, den es jedoch nur Ansatzweise auf der bolivianischen Seite gibt. Den Chilenen genügt hier in der Einöde ein einfaches Schild und das Vertrauen darauf, dass man der Strasse folgend zum Grenzposten in San Pedro de Atacama kommt. Ein bolivianischer Grenzbeamter kontrolliert nochmal, ob wir alle den Ausreisestempel haben. Dabei drängt sich natürlich die Frage auf warum er diesen nicht auch hätte verteilen können…? Wie vieles in der Bürokratie dieses Kontinents bleibt diese jedoch unbeantwortet und wir quetschen uns mit anderen Travellern in einen Kleinbus unseres Tour-Organisators, dessen Jeeps nun zurück fahren.

Nachdem wir den ersten Hügel überwunden haben erreichen wir eine frisch asphaltierte Strasse mit seitlichen Ausrollfeldern für Lastwagen mit überhöhter Geschwindigkeit. Die Lamaherde schein dies nicht zu stören und so überqueren die Tiere seelenruhig die Piste. Vor der chilenischen Einreisestelle im Wüstenort San Pedro de Atacama müssen wir mit dem kompletten Gepäck aussteigen, um zunächst den Einreisestempel inklusive Visum zu erhalten. Anschliessend gibt es die erste Zollkontrolle auf dieser Reise und dieser eilt kein guter Ruf voraus, da die gerade überquerte Grenze als Schmuglerstelle gilt… Im Nachhinein würde ich mein Verhalten als gute Taktik beschreiben, allerdings war es unbeabsichtigt. Der Zöllner mit Handschuhen ausgestattet will sich gerade daran machen mein Gepäck zu durchwühlen als ihm auffällt, das ich ein Kreuz im Fragebogen nachträglich geändert habe, da ich die Frage falsch verstanden hatte. So wird mein Rucksack erstmal sekundär und ich bekomme ein neues Formular ausgehändigt. Beim ausfüllen schreibe ich meinen meinen Namen in die falsche Zeile, ein häufig auftretendes Problem bzw. wird es nur ein Problem wenn man keinen zweiten Vornamen hat, den man in die andere Zeile schreiben könnte. Also Formular Nr. 3… Da ich mittlerweile der letzte bin laufe ich wohl Gefahr der Verursacher einer verspäteten Siesta zu sein und so wirft man nur einen Alibi-Blick in das Hauptfach meines Rucksacks und lässt mich einreisen. Nicht das ich einen kriminellen Hintergrund gehabt hätte, aber ich in mir nicht sicher, ob alle meine bolivianischen Souvenirs hier eingeführt werden dürfen, also Glück gehabt.

Nachdem wir ein Hostel gefunden und uns von den Preisen in diesem reinen Touristenort, sowie dem für uns schlechten Kurs des Pesos ein Bild verschafft haben, beschliessen wir morgen weiter zu reisen, um Weihnachten am Strand zu verbringen. Da wir uns erst noch das nötige Geld beschaffen müssen, sind bei unserer Rückkehr in das Büro des Busunternehmens alle Plätze nach La Serena, was unser Ziel sein soll, vergeben. Also buchen wir erstmal eine Verbindung Richtung Küste, wo sich die Panamericana entlang zieht, und versuchen unser Glück in Antofagasta



Salar de Uyuni

7 01 2011

18./19.12.2010, Tag 74/75

Unsere letzte Station in Bolivien ist die Wüstenstadt Uyuni, am Rande des gleichnamigen Salzsees. Der Salar de Uyuni ist mit 10.000 Quadratkilometern Fläche der grösste Salzsee der Welt. Die Salzmenge wird auf ungefähr 10 Milliarden Tonnen geschätzt, wovon jährlich etwa 25.000 Tonnen abgebaut werden. Darüberhinaus befinden sich unterhalb der Salzkruste etwa 75 % des weltweiten Lithiumvorkommens, welches allerdings noch nicht (bis auf ein Pilotprojekt) abgebaut wird, Bolivien aber irgendwann vielleicht zu Reichtum verhelfen könnte. Von Uyuni aus wollen wir eine Fahrt über den Salar organisieren und uns im Anschluss nach Chile bringen lassen, was 3 Tage in Anspruch nimmt. Als ich morgens durch die Stadt laufe fällt mir auf wie ruhig diese ist. Vor allem das fehlende Hupen der Autos, sonst in allen Ländern Südamerikas Standard, fehlt irgendwie. Zudem die nervigen Händler und Restaurant-Einweiser, die einen am liebsten direkt in ihren Laden zerren würden. Generell sind die Bolivianer aber sowieso nicht so aufdringlich wie zum Beispiel ihre peruanischen Nachbarn.

Beim ersten empfohlenen Touranbieter lernen wir Kerstin und Berni kennen, die die gleich Route wie wir geplant haben. Wir überlegen uns zusammen zu tun, denn mit 6 Personen wäre ein Jeep voll und wir haben eine bessere Verhandlungsposition. So beschliessen wir noch einige Anbieter abzuklappern und uns Abends wieder zu treffen. Das Unterfangen gestaltet sich jedoch als schwierig, da die meisten „Siesta“ haben und bei einigen diese wohl den ganzen Tag andauert… Daher landen wir wieder beim ersten Anbieter, der aber auch gleichzeitig den besten Preis macht: Umgerechnet 56 Euro pro Person für 3 Tage Jeep, Fahrer, Verpflegung und zwei Übernachtungen. Dazu sparen wir die Kosten für den Transport nach San Pedro de Atacama in Chile, also ein echtes Schnäppchen 🙂

Sonntag morgen um 10.00 Uhr soll es losgehen. Da es beim Grenzübertritt nach Chile keinen Grenzposten gibt, müssen wir uns den Ausreisestempel für den 21.12. bereits hier in Uyuni holen, was wir in einem Büro im ehemaligen Kino erledigen. Bis unser Gepäck, was nicht wenig ist, verladen ist dauert es noch einen Moment, so dass wir schliesslich gegen 11.00 Uhr aufbrechen. Das erste Ziel ist der Cementario de Trens, ein Eisenbahnfriedhof auf dem bis zu 100 Jahre alte Lokomotiven und Wagons zu sehen sind. Die Züge wurden auf der Verbindung von Potosi an die chilenische Küste nach Antofagasta eingesetzt, welche allerdings nicht mehr in Betrieb ist. So rostet alles was keine weitere Verwendung gefunden hat vor sich hin und kann von Touristen bestaunt und beklettert werden. Rund um das Areal ist es ziemlich schmutzig, tausende Plastiktüten wehen über den Altiplano. Die Tüten, von denen man bei jeden Einkauf gleich mehrere erhält sind in allen Gegenden, die wir bisher bereist haben ein enormes (Müll)Problem, welches keines der Länder in den Griff bekommen kann oder will…

Nach einem kurzen Stopp in einem Dorf am Rande des Salars fahren wir raus auf den Salzsee. Hier ist es so hell, dass man ohne Sonnenbrille nicht über die weisse Fläche sehen kann ohne die Augen zusammen kneifen zu müssen. Wir halten an einer Ansammlung von kleinen Salzhügeln, die dem Trocknungsprozess dienen. Um diese Hügel ist der Boden nass und teilweise haben sich kleine Pfützen gebildet, die von der beginnenden Regenzeit herrühren. Wir starten eine erste Fotosession, wozu sich die Gegend prima eignet, da man hier tolle Perspektivbilder machen kann. Der nächste Stopp ist das nicht mehr in Betrieb befindliche Salzhotel mitten im See. Dieses wurde illegal errichtet und mittlerweile geschlossen, da es das hiesige Ökosystem extrem schädigt. Die Bauweise des Gebäudes, welches komplett aus Salz besteht ist trotzdem beeindruckend. Innen befindet sich ein Museum in dem man Figuren, natürlich ebenfalls aus Salz, bewundern kann.

Wir fahren weiter über den See. Alles um uns herum ist weiss und die Fahrbahn nur durch eine leicht dunkle Färbung erkennbar. Ich nicke ein. Als ich wieder aufwache erkenne ich unser nächste Ziel am Horizont: Die Isla Incahuasi (oder Isla Pescado). Nun wird mir auch klar woher die Insel ihren Namen hat, denn in der flimmernden Hitze liegt sie nicht flach auf dem See, sondern zeigt tatsächlich die Form eines Fisches, ein fantastisches Naturschauspiel! Die Isla ist sowas wie eine Oase in dieser Salzwüste. Auf ihr wachsen Kakteen und man kann den kleinen Hügel erklimmen, von wo man einen tollen Blick über die endlose Weite dieses Salzmeeres hat. Im Westen erhebt sich der Vulkan Tunupa C:\WINDOWS\hinhem.scrC:\WINDOWS\hinhem.scrund rundet diese beeindruckende Bild ab.

Nach einem Mittagessen am Rande der Insel klettern wir hoch zum Aussichtspunkt und blicken über die endlose weite in weiss. Die Jeeps, die vorbeifahren sehen von hier oben aus wie Spielzeug-Autos auf einem weissen Teppich. Wieder unten angekommen starten wir eine zweite Fotosession. Auf der Flasche balancieren oder sich mit dem kompletten Körper in seine Schuhe stellen, alles kein Problem 😉

Als unser Fahrer bereits ungeduldig winkt müssen wir los. Die weite Fahrt zieht sich, ehe wir eine Art Fahrbahntrasse erreichen, auf der es dann weitergeht. Im Hintergrund ragen dunkle Berge auf, während der Salzsee langsam in eine Steppenlandschaft übergeht. Eine Herde Lamas kreuzt unseren Weg, ehe wir das Ziel für die Nacht erreichen: Das Salzhotel in San Juan. Wie der Name schon sagt ist dieses ebenfalls komplett aus Salz erbaut, genauso wie die Einrichtung. Für diese Tour hat es auf jeden Fall Stil. Nach einem guten Abendessen gehen wir recht früh ins Bett. Morgen geht es weiter durch den Nationalpark Reserva Nacional de Fauna Andina Eduardo Abaroa, wo es u.a. Flamingos zu sehen geben soll…



Potosi

30 12 2010

16./17.12.2010, Tag 72/73

Um 6.00 Uhr erreichen wir das nagelneue und ziemlich pompöse Terminal von Potosi, der „Stadt am Silberberg“, was zu Beginn des 17. Jahrhunderts die reichste und grösste Stadt Südamerikas war. Man erzählt sich gerne, dass mit dem Silber was die Konquistadoren aus den Minen herausgeholt und in die Heimat verschifft haben, man eine Brücke aus Silber bis nach Spanien hätte bauen können, so viel sei es gewesen. Gleichzeitig könnte man aber auch eine Brücke aus Knochen mit der gleichen Länge bauen, nimmt man die aller Indios und Sklaven, die in den Minen gestorben sind. Neben dieser Ausbeutung hat Bolivien noch unter dem Einfluss seiner Nachbarländer zu leiden: Ein grosses Stück des Staatsgebietes im Westen, inklusive dem wichtigen Zugang zum Meer verlor man im „Salpeterkrieg“ (1879 – 1883) an Chile, grosse Landesteile im Osten fielen im „Chacokrieg“ (1932 – 1935) an Paraguay, sowie weitere Teile an Brasilien und Argentinien. Man muss daher kein Prophet sein, um herleiten zu können, dass Bolivien ohne diese äusseren Einflüsse vielleicht nicht das ärmste Land des Kontinents sein würde. So bleibt den Bolivianern nur aus dem was übrig geblieben ist Profit zu schlagen und den Berg mit der erschöpften Silbermine nach anderen Bodenschätzen zu durchwühlen, bzw. Touristen daran teilhaben zu lassen, und deswegen sind wir hier.

Nachdem wir uns im Hostel noch eine Mütze Schlaf geholt haben, organisieren wir eine Tour zu den Silberminen im Cerro Rico für den nächsten Vormittag und schlendern in der Nachmittagssonne durch die hübsche Altstadt, die einen Einblick in die besseren Zeiten des Ortes hergibt.

Am nächsten Morgen sitzen wir in einem Bus, der uns zur Zentrale des Tour-Organisators bringt, was bei uns eher die Bezeichnung Abstellkammer im Hinterhof bekommen würde^^Dort erhalten wir die komplette Schutzkleidung, sowie Helm und Lampe. Als wir letztes Jahr auf unserer Chile-Reise die Minen von Lota besichtigt haben brauchten wir ausser Helm keine spezielle Kleidung. In dem Moment hätte ich eigentlich ahnen sollen was auf uns zukommt… Zunächst besuchen wir allerdings den „Mercado de los Mineros“ um Geschenke in Form von Getränken, Zigaretten und Dynamit für die Mineros zu kaufen. Es ist der einzige öffentliche Markt der Welt in dem jedermann legal Dynamit kaufen kann. Zusätzlich kommen wir in den Genuss ein Tröpfchen 96 %igen Alkohol zu probieren, den die Bergarbeiter in ihre Limonade mischen, ebenfalls hier erhältlich. An einem Strassenstand erstehen wir dann noch ein paar Packungen Coca-Blätter. Das Kauen der Blätter dieser Pflanze, die u.a. einem bekannten Getränkeunternehmen seinen „Vornamen“ gegeben hat und aus deren Stoffen durch chemische Reaktionen Kokain gewonnen werden kann ist hier weit verbreitet. Man nimmt etwa 15 Blätter formt diese im Mund zu einem Bündel was man in die Backe legt und daran saugt. Der Effekt ist, dass man u.a. die Höhenkrankheit, Kälte oder Hunger nicht mehr deutlich wahrnimmt. Allerdings wurde nachgewiesen, das Coca alleine weder eine Droge ist noch einen Suchteffekt auslöst. Trotzdem ist das Anbauen der Coca-Pflanze in Bolivien ein grosses Politikum, da die USA versucht den Anbau einzuschränken um dadurch den Kokain-Import in das eigene Land in den Griff zu bekommen. Der aktuelle Präsident Boliviens ist selbst ein Coca-Bauer und versucht weitere Anbauflächen für seine Landsleute zu schaffen, da das Geschäft mit der Coca Pflanze, aus der auch das Nationalgetränk „Mate de Coca“ (Tee)¨ hergestellt wird, noch eins der wenigen guten Einnahmequellen ist.

Mit einer dicken Backe voller Coca-Blätter und einer Flasche Alkohol im Gepäck fahren wir zunächst zu einer Fabrik in der die verschiedenen Bodenschätze, welche in der Mine abgebaut werden, verarbeitet werden. Die Maschinen, die dort am Laufen sind würden bei uns wohl in einem Bergbau-Museum stehen… Unser Führer, selbst ein ehemaliger Minero, zeigt uns eine Pfanne in der sich noch ein bisschen Silber befindet und malt uns damit einen Balken auf die Backe. Nach dem Rundgang fahren wir weiter zum Silberberg, wo heute noch knapp 10.000 Bergleute arbeiten. Die Zahl findet sich auch auf der kleinen bolivianischen Flagge wieder, die auf den Helmen zu sehen ist. Daneben ist eine chilenische Fahne mit der Zahl 33 angebracht, welche für die eingeschlossenen Bergleute des Grubenunglücks im chilenischen San José im August diesen Jahres steht und die Solidarität der Mineros ausdrücken soll. Nach 69 Tagen wurden die Kumpel aus ihrem Schutzraum in 700 Meter Tiefe befreit, wir werden heute einen Eindruck davon bekommen wie es sich dort angefühlt haben muss.

Bereits am Eingang zu den Minen, aus denen heute hauptsächlich Zinn und Kupfer herausgeholt werden, ist es eng und niedrig. Neben uns laufen dicke Leitungen in denen allerdings kein Sauerstoff, sondern Druckluft durchgepumpt wird. Das Atmen fällt mir hier schon schwer, da ich immer noch eine Erkältung mit mir herumschleppe. Der Gang wird immer kleiner und wir müssen teilweise auf die Knie herunter um durchzukommen. Die perfekte Grösse für einen Minero habe ich wohl nicht 😉 Wir kommen zu „El Tio“, sowas wie eine heilige Figur oder auch der Teufel, den die Bergleute immer Freitags mit Geschenken bestücken, damit er sie beschützt. Hier ist es heiss und stickig und jemand mit Platzangst hätte hier definitiv grosse Probleme. Wir gehen zurück zum Hauptgang: „Jetzt folgt der enge Teil“ meint unserer Führer. Und ich dachte das war er eben schon… Wir lassen uns in ein Loch im Boden ab und kriechen zwischen den Felsen durch. Scheinbar handelt es sich hier um den Hauptweg in die unteren Ebenen, weshalb ich mich frage warum man diesen nicht etwas grösser macht, wenn er jeden Tag genutzt wird?! Es wird immer enger und durch den von uns aufgewirbelten Staub auch immer stickiger. Ich hatte mir auf dem Mercado noch Handschuhe und eine Halstuch als Mundschutz mitgenommen, wofür ich jetzt extrem dankbar bin. Es geht runter auf die Knie und auf allen vieren weiter. Wenn man jetzt raus will hat man ein Problem, denn da sowohl vor als auch hinter mir kriechende Backpacker sind gibt es keinen anderen Weg als weiter der Gruppe zu folgen (was ich aber sowieso vor hatte). Als ich denke es kann nicht mehr enger werden muss ich mich flach auf den Bauch legen um mich durch eine Felsspalte zu quetschen! Jetzt ist die engste Stelle aber auch erreicht und es wird langsam wieder breiter. Glück, denn wäre es noch enger geworden wäre ich wohl stecken geblieben… Aufgrund der gerade geschilderten Umstände gibt es von den beschriebenen Passagen auch nur wenige Fotos. Nachdem man wieder halbwegs stehen kann kommen wir an ein weiteres Loch im Boden, über dem sich eine alte Winde befindet. Der Führer meint dort würde ein Minero noch so arbeiten, wie es zu Kolonialzeiten üblich gewesen sei. Wir steigen über eine brüchige Leiter ab und im dunklen erkennen wir tatsächlich wie er unermüdlich mit Hammer und Meisel ein Loch in den Fels gräbt um dort sein Dynamit für die nächste Sprengung anzubringen. Es ist unglaublich heiss in der kleinen Höhle und es gibt kaum Luft zum atmen. Nur wenige Bergarbeiter können mehr als 10 Jahre in den Minen arbeiten und die meisten leiden unter starken Gesundheitsschäden, so dass deren Lebenserwartung auf 45 – 50 Jahre sinkt. Ich schenke dem Minero meine Alkoholflasche, wer hier arbeitet hat sich einen starken Tropfen verdient!

Wir gehen zurück und einen halbwegs angenehmen Weg entlang. Verglichen mit den Minen in Chile, wären die Stollen welche wir dort als Risikoreich empfunden haben, hier die besseren. Kaum ein Gang ist abgestüzt und wenn dann mit halb zerbrochenen Balken. Aufgrund der Vielzahl an Stollen, welche in den Berg führen muss dieser im Querschnitt wohl wie ein Schweizer Käse aussehen. Auf dem Boden sammelt sich Wasser und an den Wänden können wir sehen wie sich die Linien bilden denen die Mineros folgen um auf einer grössere Ablagerung zu treffen. Am Ende des Ganges treffen wir auf 5 weitere Bergleute, die hier in der Gruppe arbeiten und verteilen wieder Geschenke. Wir folgen ein Stück den Schienen, auf denen die schmalen Wagen laufen, mit welchen die abgebauten Substanzen zum „Aufzug“ befördert werden. Das ist eine einfache Seilwinde mit der ausschliesslich die Säcke nach oben gezogen werden können. Wer hier reinkriecht muss also auch wieder auf dem selben Weg nach oben. Also machen wir uns auf den Weg durch den engen Tunnel, nun allerdings bergauf! Die Hitze und die nicht zu vergessene Höhe von knapp 4000 Metern auf der sich die Mine befindet lassen diesen Weg zu einer echten „Grenzerfahrung“ werden. Als wir endlich wieder in der oberen Ebene sind treffen wir einen weiteren Minero, der in einem Loch im Boden steht und dieses bearbeitet. Ich schenke ihm den Rest der Coca-Blätter und meine Handschuhe. Ab hier brauche ich sie nicht mehr, denn ich merke schon den Luftzug von draussen. Einmal tief durchatmen, wobei ich sowieso schon ein gefühltes Kilo Staub auf der Lunge habe… Dann Licht am Ende des Tunnels und wir haben es geschafft. Eine interessante aber gleichzeitig extrem anstrengende Erfahrung. Man kann sich nur in Ansätzen vorstellen, wie es den Menschen wohl gehen muss, dass sie jeden Tag auf so einen Arbeitsplatz zurückkehren.

Nachdem unser Führer noch eine Stange Dynamit zur Demonstration gezündet hat, geht es zurück nach Potosi. Meine Nase und Hals sind zu, die Augen brennen und ich habe Kopfschmerzen. Und dabei war ich „nur“ knappe 2 Stunden dort. Unser Bus fährt am späten Nachmittag nicht am luxuriösen Terminal ab, sondern in einer ziemlich zwielichtigen Gegend. Als wir einen Bus der Gesellschaft entdecken freuen wir uns über den hohen Standard, bis wir erfahren, welcher Bus tatsächlich unserer ist… Mit den Rucksäcken auf dem Dach und meinen Knien im Rücken meines Vordermannes geht es, begleitet von bolivianischer Folklore-Musik, raus aus der Stadt und über den Altiplano. Aber ich will mich nicht beschweren, denn ein weiterer Fahrgast der später zusteigt nimmt auf einem Holzschemel im Gang Platz! Ausser zwei Brasilianer und uns befinden sich nur Einheimische im Bus. Hier erleben wir mal wieder ein echtes Stück Südamerika. Auch wenn ich mich wiederhole gleicht die Landschaft, derer die man aus den amerikanischen Western kennt. Ich verbringe die Zeit damit einfach nur aus dem Fenster zu sehen und zu beobachten wie das Bild davor sich verändert. Bei einer Pause kippt der Fahrer einen Eimer Wasser über den Motor und lässt anschliessend die Haube bei der Fahrt einfach offen stehen. So kühlt man in Bolivien 😉 Als wir Nachts in Uyuni ankommen ist zum ersten mal auf dieser Reise ein Hostel ausgebucht. Aber es gibt hiervon ausreichend und so checken wir nebenan ein. Morgen startet dann die Organisation unserer Reise über den Salar de Uyuni und weiter nach Chile 🙂



Chacaltaya & Valle de la Luna

26 12 2010

15.12.2010, Tag 71

Da unser Bus erst Abends fährt, machen wir zum Abschluss unseres La Paz Aufenthalts noch einen Ausflug zum Chacaltaya (5435 m), gleichzeitig das höchste Skigebiet der Welt, von dem aus man bei gutem Wetter einen freien Blick auf die Stadt auf der einen und den Titicacasee auf der anderen Seite hat. Eigentlich wollten wir die Tour gerne alleine machen, aber die fehlende öffentliche Verkehrsanbindung und der Preis von 6 Euro lassen uns dann doch die im Hostel angebotene Tagestour wählen. Den ersten Stopp macht unser Minibus auf der Grenze zu El Alto von wo aus man nochmal den Blick über La Paz geniessen kann. Dann fahren wir rein in die gefährlichste Stadt des Kontinents und halten an einer Tienda (kleiner Einkaufsladen), die wohl Verwandten unseres Fahrers gehört… Wir hatten schon mal im Hostel angefragt, ob man mit dem Taxi nach El Alto fahren kann, aber dort wurde uns gesagt, dass die Fahrer es nicht machen würden und sie es auch nicht empfehlen können dort als Tourist überhaupt hinzufahren. Zudem hat der abgestossene Stadtteil weder Sehenswürdigkeiten noch ein Zentrum, daher reicht es uns nun auch einfach sagen zu können hier gewesen zu sein.

Es geht weiter über den Altiplano, der Hochebene, die sich durch Bolivien zieht. Der Altiplano, eine der höchsten von Menschen besiedelten Gegenden, ist eine unwirtliche Gegend, flache Steppenlandschaft ohne Bäume die bis zum Horizont reicht und über die ein strenger Wind bläst. Die Durchschnittstemperatur liegt bei 2 – 10 Grad, was mich bewogen hat meine Thermounterwäsche anzuziehen, da die Kombination aus Kälte und Wind doch sehr unangenehm sein kann. Unterwegs begegnen uns Schaafhirten mit ihren Herden und Lamas kreuzen unseren Weg. Auf einer schmalen Gebirgsstrasse erreichen wir die Berghütte in 5000 m Höhe. Der Untergrund sieht aus wie zerbrochene Schieferplatten, weshalb ich mir überlege wieviel Schnee hier wohl liegen muss, damit man ohne Gefahr Skifahren kann…

Wir steigen die letzten Meter hoch zum Gipfel, was ungefähr eine halbe Stunden dauert. Dabei fällt der erste Schnee. Da ich immer noch erkältet bin fällt mir das Atmen hier oben recht schwer, aber was soll’s, einen 5000er besteigt man nicht jeden Tag mit so wenig Aufwand. Oben ergeben sich leider nur kurze Sichtfenster in Richtung La Paz, bzw. El Alto. Dafür blicken wir auf mehrere Bergseen, die dank der verschiedenen Bodenschätze in grün, türkis und rot leuchten. Noch ein Stück weiter wird die nächste Lagune sichtbar und im Hintergrund erheben sich die schneebedeckten Berggipfel. Ich setze mich und geniesse für einen Moment wieder eine dieser faszinierenden Landschaften.

Wir steigen ab und fahren wieder zurück in die Stadt. Nachdem wir ein paar Leute rausgelassen haben, geht es weiter zum Valle de la Luna, dem Mondtal. Was mich da erwartet weiss ich ehrlich gesagt nicht, aber da die Fahrt im Preis enthalten ist und wir noch ausreichend Zeit haben nehmen wir es auch noch mit. Es geht einmal quer durch die Stadt und auf der anderen Seite wieder hoch. Eine rote Felswand erhebt sich vor uns und gegenüber beginnt das Valle de la Luna. Ich bin beeindruckt was hier so völlig unerwähnt geblieben ist: Wilde Gesteinsformationen, die mich an einen Wild-West-Film im Felsengebirge erinnern ragen als Stalagmiten aus dem Boden auf und bilden schmale Canyons. Man kann sich hier nun wieder die Frage stellen, warum es gerade hier so aussieht, aber ich denke mir es ist einfach so, dass hier überall irgendetwas faszinierendes in der Natur ist.

Wir werden auf dem Hexenmarkt herausgelassen und nachdem wir in der Altstadt noch etwas gegessen haben gehen wir zurück ins Hostel. Um 20.30 Uhr fährt unser Bus, die Frage ist nur wo?! Das kann uns am chaotischen Terminal niemand sagen und so müssen wir uns auf die anderen Reisenden verlassen und stellen uns zu einer wartenden Menge. Mit einen halben Stunde Verspätung kommt unser Bus dann an und nach einem weiteren nächtlichen Stopp in El Alto, wo es trotz später Uhrzeit extrem hektisch zugeht, verlassen wir nach knapp 2 Stunden die Stadt Richtung Potosi.



La Paz

24 12 2010

08. – 14.12.2010, Tag 64 – 70

La Paz, was auf spanisch ganz einfach Frieden heisst, soll eine längere Station auf dieser Reise werden. Nachdem es mit der Verständigung zwar in den meisten Fällen ganz gut funktioniert, haben wir uns vorgenommen mit ein paar Stunden Spanisch-Unterricht das ganze noch etwas zu vertiefen. Bolivien bietet sich hierzu an, denn neben dem Aspekt, dass das Land extrem günstig ist, ist das hier gesprochene Spanisch ziemlich einfach und langsam, was es uns als Sprachanfängern leichter macht. Also begeben wir uns am Mittwoch Morgen auf einem Rundgang durch die Stadt um verschiedene Sprachschulen abzuklappern und lernen diese dabei gleich ein wenig kennen. La Paz, das in einem windgeschützten Talkessel auf einer Höhe von 4100 Metern liegt und somit der höchstgelegene Regierungssitz der Welt ist, ist so wie man sich eine südamerikanische Grossstadt vorstellt: Laut, chaotisch, voller Menschengetümmel und irgendwie liebenswert! Passender könnte die wichtigste Stadt des Landes (offizielle Hauptstadt ist Sucre) kaum sein, denn Bolivien hat seit seiner Unabhängigkeit vor ca. 190 Jahren mehr als 200 Regierungswechsel erlebt.

Wir klappern verschiedene Sprachschulen ab, aber irgendwie finden wir keine wo die angebotenen Zeiten und Preise mit dem was wir uns vorstellen übereinstimmen. Um 17.00 Uhr haben wir im Hostel noch ein Treffen mit einem Privatlehrer vereinbart, der dann anruft und meint der Termin sei erst eine Stunde später…nicht gerade der beste Eindruck was die Verlässlichkeit angeht. Nachdem es mal kurz wie aus Eimern geschüttet hat, setzen wir uns in ein Taxi, was hier spottbillig ist, und fahren zu einer Sprachschule, die uns im Hostel genannt wurde. Unter der angegebenen Adresse findet sich allerdings weder eine Sprachschule noch irgendein Hinweis wo diese sein könnte. Von Nachbarn, Polizisten, dem Sichrheitsmann des Justizgebäudes und einigen weiteren werden wir durch das halbe Viertel gejagt. Typisch Südamerika: Eine falsche Antwort ist besser als gar keine! 😉 Bei durch die Gegend irren entdecken wir ein Gebäude mit einer Aufschrift „Englischhands“. Sieht nach einer Art Privatschule aus, vielleicht kann man uns dort zumindest sagen, wo sich nun die Sprachschule befindet. An der Pforte erfahren wir, dass es auch möglich ist hier einen Sprachkurs zu belegen und werden in ein Büro gebeten. Während die Direktorin unsere Interessen und Leistungsstand abfragt, herrscht ein ziemlicher Trubel. Ständig kommen Lehrer und Schüler herein, fragen etwas und währenddessen versucht die sympathische Dame telefonisch einen Lehrer für uns zu finden. Als dies dann geschafft ist, einigen wir uns auf einen Preis von 35 Bolivianos pro Person und Stunde, was etwa 3,50 Euro entspricht. Mein Spanischkurs an der Volkshochschule Bad Homburg im August hat runtergerechnet etwa das dreifache gekostet, jedoch in einer Gruppe von 15 Personen. Hier werden nun nur Theresa und ich gemeinsam unterrichtet, während Anja Einzelunterricht bekommt.

Im Supermarkt, den wir anschliessend ansteuern, hat es den Eindruck die Waren würden verschenkt, so billig ist alles. Und so lassen wir uns von einem Taxi mit vollgeladenem Kofferraum vor dem Hostel absetzen. Dort schaue ich mir dann Abends noch das Endspiel der Copa Sudamericana (vergleichbar mit der Europa-League) zwischen Indipendiente (ARG) und Goias (BRA) an, welches die Argentinier im Elfmeterschiessen für sich entscheiden. Was danach los ist lässt jeden europäischen Wettbewerb wie eine Beerdigung erscheinen…

Am folgenden Donnerstag Morgen steht dann unser „1. Schultag“ an. Unsere Lehrerin Katti kommt (für hiesige Verhältnisse fast pünktlich) 5 Minuten zu spät. In unserem Klassenzimmer, dass sich im Untergeschoss des Gebäudes befindet bekommen wir einen Einblick in die bolivianischen Lernmethoden. In der Schule wird ansonsten nur Englisch unterrichtet und gesprochen um die Sprache zu festigen. Bei uns ist es nun genau umgekehrt, was Katti zunächst schwer fällt und daher das meiste in Englisch erklärt wird, quasi ein Doppel-Sprachkurs^^Generell ist das Lernen hier mit viel mehr Freude und Enthusiasmus verbunden. Jeder begrüsst sich und ist freundlich zueinander und die Kinder im Nebenraum singen ein englisches Lied. Ich hätte es ja nicht gedacht, aber es ist schön mal wieder in der Schule zu sein 🙂 Plötzlich hören wir draussen eine Musikkapelle. Wir unterbrechen kurz den Unterricht und gehen hoch an die Strasse. Dort läuft die uniformierte Spezialeinheit vorbei, die normalerweise das Regierungsgebäude bewacht. Katti erklärt und später, dass an in La Paz nie genau weiss wann, warum und wo gerade ein Parade, Demo oder ähnliches läuft. Irgendetwas würde aber immer passieren.

Nachmittags erfahre ich dann bei einem Telefonat in die Heimat, dass mein Paket aus Lima beim Zoll in Hanau liegt, der mittlerweile schon gemahnt hat, weil es von dem Empfänger nicht abgeholt wurde! Das zittert man wochenlang, ob das Päckchen, für das ich nebenbei fast 50 Euro Porto bezahlt habe, seinen Bestimmungsort erreicht und dann lässt man es einfach mal so mal 2 Wochen liegen… Als ich leicht irritiert darüber zurück Richtung Hostel gehe, treffe ich Anja, der gerade das Portemonaie geklaut wurde. Bereits das dritte mal, dass es sie trifft. Nach der aufgeschnittenen Tasche in Quito und dem aus dem Hotelzimmer verschwundenen Handy, wurde ihr die Geldbörse einfach aus der Tasche gezogen während sie am einkaufen war. Ziemlich ärgerlich und gleichzeitig ein Weckruf für den Rest wieder etwas aufmerksamer zu sein, denn wenn nichts passiert wird man doch leicht nachlässig. Passend dazu sprechen uns noch zwei (angebliche) Israelis direkt vor dem Bankautomaten, wo ich gerade Geld abheben will, auf Englisch an, ob wir Ihnen nicht bei der Bedienung des Automatens helfen könnten, weil sie zwar Englisch sprechen, aber nicht lesen können… Anjas Vorfall, den sie den beiden erzählt, erspart uns dann wohl einen weiteren unangenehmen Zwischenfall.

Die nächsten Tage haben einen gewissen Alltagscharakter, Morgens Schule, nachmittags verschiedene Erledigungen und Abends versuchen möglichst zeitig ins Bett zu gehen, um morgens halbwegs fit für den Unterricht zu sein. Unser Zimmer haben wir aufgrund der Geruchsbelästigung mittlerweile gewechselt. Der zunächst positive Eindruck des Wild-Rover-Hostels hat sich etwas gedreht. Wenn man Party machen will ist man hier definitiv richtig. Braucht man aber irgendwas darüber hinaus, wie Informationen, hilfsbereites Personal oder will ab und zu mal durchschlafen ist man hier verkehrt. Trotzdem besuchen wir Freitag Abend die Party zum 3-jährigen Jubiläum, wo eine U2-Coverband auftritt. Das ganze ist eine Verkleidungsparty und im hosteleigenen Kostümfundus decken wir uns ein. Für mich springt dabei ein Spidermann-Kostüm (eigentlich nicht meine Lieblings-Comicfigur) heraus und begleitet von meinem Partner Supermann mischen wir uns unter das Partyvolk im Irish-Pub. Eine kleine Einstimmung auf Karneval, den ich sehr wahrscheinlich in Rio verbringen werde! Verglichen mit den täglichen Partys ist das Fest heute allerdings ziemlich lahm und so wird es ein recht kurzer Abend.

Samstag sehe ich nach dem Unterricht, der sich heute etwas gezogen hat, den ersten Weihnachtsmann! Generell versprüht La Paz als erste Stadt etwas Weihnachtsstimmung, allerdings will bei mir aufgrund von Durchschnittstemperaturen von über 20 Grad nicht wirklich Festtagsstimmung aufkommen. Zudem jagt hier ein Highlight das andere und so begeben wir uns Sonntags Morgens (3. Advent) zum Estadio Nacional um uns Karten für ein bolivianisches Ligaspiel zu besorgen, was laut eines Taxifahrers ein Klassiker sein soll. Der hat sich aber wohl in der Woche geirrt, denn vor dem geschlossenen Kartenschalter erfahren wir, dass nun gerade Sommerpause ist. Bleibt mir also nichts anderes übrig als das 50.000 Zuschauer fassende Stadion von aussen zu fotografieren.

Danach begeben wir uns an unserem schulfreien Tag weiter zu dem nächsten Tagespunkt: Besichtigung des Gefängnisses San Pedro. Hierbei handelt es sich nicht um ein „einfaches“ Gefängnis, sondern um einen kompletten Strassenblock, der wie eine eigene Stadt funktioniert und nur an den Eingängen von Polizisten bewacht wird. Sonntag ist Besuchstag und gegen ein „Trinkgeld“ für die Beamten, was deutlich mehr ist als gedacht, kann man sich auf die Besucherliste setzen lassen und an einer „Führung“ teilnehmen. Internationales Aufsehen eregte der bekannteste Knast der Welt durch das Buch „Marching Powder“, welches von einem inhaftierten Briten geschrieben wurde, der das System des einzigen Gefängnisses unter Selbstverwaltung, welches hauptsächlich durch den Drogenhandel bestimmt wird, offenlegt. Eine illegal gedrehte Dokumentation, die irgendwann auch schon mal bei uns im Fernsehen lief, macht Besuche schwieriger aber nicht unmöglich.

In einem Nebenraum geben wir alle Wertsachen ab (wobei ich sowieso nichts dabei hatte) und bekommen eine Nummer auf den Arm gemalt. Nachdem wir eine Art Haftungsauschluss unterschrieben haben, werden wir unseren Führer Michael und seinem „Bodyguard“ überstellt, beide natürlich Insassen. Im Vorhof vor der Kirche ist einiges los, da die meisten auf ihre Familien warten. Für die Touristen ist der Sonntag nicht so gefährlich, da niemand sich etwas erlauben will, um Probleme mit den Wärtern zu vermeiden. Diese patroullieren maximal auf der Aussenmauer und betreten die 7 Sektoren, in die San Pedro unterteilt ist, nicht. Hier regiert ein gewählter Präsident, der die Regeln aufstellt, die an die jeweiligen Wände in den Höfen der Sektoren geschrieben sind. Wir gehen zunächst durch die unteren Gänge zu Michaels Zelle. Vom Baustil her handelt es sich um die Zellentrakte wie man sie aus Filmen usw. kennt. Die dreiecksförmigen Innenhöfe bilden das Zentrum der zwei bis dreistöckigen Trakte und man findet dort meistens ein Restaurant, Kiosk und verschiedene Freizeitmöglichkeiten wie Basketballkörbe oder Tischkicker.

San Pedro ist wie gesagt eine eigene Stadt. Jeder muss für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen, wie die Insassen dort drin an Geld kommen kann man sich leicht zusammenreimen. Frauen dürfen für 5 Bolivianos (50 Cent) die Nacht bei ihren Männern wohnen, Kinder bis 156 Jahren wohnen umsonst im Gefängnis. Das ist der Eindruck der mich am meisten beschäftigt: Wir sind an einem Ort wo es von schlechten Beispielen nur so wimmelt und zwischen Mördern, Dieben und Vergewaltigern leben vom Kleinkind bis zum Jugendlichen alle Altersklassen. Wo deren Weg einmal hingeht ist wohl leider auch vorherbestimmt. Michael nutzt die erste dunkle Ecke um uns etwas zu rauchen anzubieten. Wir lehnen dankend ab.

Der Rundgang führt uns durch alle Sektoren, die untereinander ein jährliches Fussballturnier ausspielen, welches eine grosse Rolle spielt, da dem Sieger neben Sonderrechten eine ordentliche Summe Geld winkt. Während unseres Besuchs werden uns immer wieder verschiedene Waren, wie Armbänder, Gebäck und T-Shirts angeboten. Teilweise auch von Touristen, die dort einsitzen, deren Anzahl allerdings bei weitem nicht so hoch ist wie ich vermutet hätte. Die Zellen sind eng und auf ca. 4 Quadratmetern leben teilweise ganze Familien. Michael zeigt uns einen dunklen Gang, wo sich früher Inhaftierte gegenseitig aufgelauert haben, um jemand den man gerade nicht leiden kann aus einer dunkeln Ecke heraus abzustechen. Anschliessend gehen wir in einen stockdunklen Gang, in dem die Leichen dann versteckt abgelagert wurden. Der mittlere Sektor ist sowas wie der Hochsicherheitstrakt, den selbst die Insassen aus den anderen Sektoren nicht betreten. Wir besichtigen eine Schreinerei, wo für hiesige Verhältnisse richtig ordentliche Möbel gefertigt und mit Hilfe der Beamten nach ausserhalb verkauft werden.Die benutzung der Maschienen muss natürlich bezahlt werden. Danach gehen wir in die Küche, wo diejenigen arbeiten und wohnen müssen, die sich an Frauen oder Kindern vergangen haben. An der Wand sehen wir aufgestellte Matratzen, davor sitzen an riesigen Töpfen eine handvoll Männer und schälen Gemüse. Michael zeigt uns Peitschen und selbstgebaute Züchtigungswerkzeuge mit denen die hier lebenden „erzogen“ werden. Wir fragen ihn was er verbrochen hat und er antwortet Mord aus Notwehr, wobei er uns die Narben an Nacken und Oberkörper zeigt. Dies ist allerdings schon sein zweiter Aufenthalt in San Pedro. Die Strafe wegen Raub hat er schon abgesessen, soviel zum Thema Resolzialisierung… Das bolivianische Strafmass für Mord liegt bei 13 Jahren, Drogendelikte und Vergewaltigung werden mit 20 Jahren bestraft. Wieviel man davon tatsächlich absitzt ist allerdings eine Frage des Geldes meint er.

Wir gehen weiter in einen „Billard-Salon“, wo hauptsächlich die Jugendlichen am spielen sind, sehen den Eingang zur Sauna und zum Fitness-Studio, einen Kindergarten und eine weitere Kirche. Im Hof sitzen die Männer vor einem Fernseher und sehen Fussball. Im „Garten“ wie sie ein kleines Beet nennen wachsen Cannabis-Pflanzen, eine Dope-Plantage im Knast! Im hinteren Teil sehen wir eine zugemauerte Zelle: Dort sassen 3 Peruaner und 1 Kolumbianer ein, die sich einen Tunnel gegraben haben und geflüchtet sind. Bis heute wurden sie nicht gefasst. Zum Abschluss unseres Rundgang kommen wir in den „reichen Sektor“, wo u.a. politische Gefangene einsitzen. Wir werden in einen Raum ohne Fenster geführt und man bietet Getränke an. Am Nachbartisch sitzt eine Gruppe Australier, die wir am Eingang getroffen haben und zieht sich auf einem Spiegel eine Line mit Koks. Uns wird natürlich auch etwas angeboten und als wir wiederum ablehnen werden wir nach einer „Spende“ gefragt, da die „Guides“ von dem Geld was wir an die Polizisten gezahlt haben nichts sehen würden. Wir legen 40 Bolivianos (4 Euro) auf den Tisch, woraufhin Michael anmerkt, dass er eher an 200 gedacht hatte. Da wir alle ohne Geld unterwegs sind, ist das ausgeschlossen. Ich habe noch 20 Bs. in der Tasche und packe sie drauf, da wir ihm sowieso ein Trinkgeld geben wollten. Mittlerweile sind wir alleine in dem Raum und als Michael das Geld weitergibt scheint der Eintreiber ziemlich verärgert. Die Situation wird  langsam ungemütlich, daher stehen wir schnell auf und gehen nach draussen. Als wir noch eine Weile auf dem Hof herumgestanden haben kommt Michael nach und bringt uns zur Tür. Als er an das Gitter greift entdecke ich, dass ihm an mehreren Fingern die Fingerkuppen fehlen. Draussen treffen wir nochmal die Australier, die von dem Preis von 100 Bs. pro Gramm schwärmen, ein echtes Schnäppchen…

Als wir Katti an nächsten, unserem letzten Schultag von dem Besuch in San Pedro erzählen ist sie erstaunt was dort vor sich geht. Obwohl sie in La Paz aufgewachsen ist war sie wie die meisten Einwohner noch nie dort und kennt die Gegebenheiten nicht. Auch das Buch haben wohl die wenigsten gelesen. Als die letzte Stunde vorbei ist folgt ein herzlicher Abschied und sie attestiert uns nochmal wie schnell wir lernen würden. Insgesamt hat sich der Kurs auf jeden Fall gelohnt, nur dranbleiben heisst es jetzt…

Da wir noch einen Tag länger bleiben wie geplant, nutze ich den Dienstag um eine Stadtrundfahrt zu machen, um das weitläufige La Paz nochmal richtig gesehen zu haben. Bei der Fahrt durch die Altstadt hängen die Kabel über der Strasse so tief, dass sie teilweise über das Dach des Doppeldeckers schleifen. Vom Aussichtspunkt am Hang hat man einen tollen Blick über die Stadt und das oberhalb auf dem Altiplano gelegene El Alto, sowie den Illimani (6439 m) mit seinen drei Gipfeln, der heute jedoch leider in den Wolken liegt. Auffällig sind die vielen nicht verputzten und ungestrichenen Gebäude. Scherzhaft nennt man La Paz daher die „terracottafarbene Stadt“. Die Tour endet am Hexenmarkt, wo es so skurile Dinge wie Lamaföten zu kaufen gibt, die die Bolivianer unter die Eingänge ihrer neu gebauten Häuser einmauern. Ein weiteres „Highlight“ von La Paz sind, neben den Männern die an Schreibmaschienen in der Fussgängerzone Formulare ausfûllen, die maskierten Schuhputzer, die einem an jeder Ecke auflauern, aber ungefährlich sind.

Abends heisst es dann Pakete packen. Neben vielen Dingen, die sich auf der Reise als überflüssig erwiesen haben, ist doch das ein oder andere Souvenir seit Peru in meinen Rucksack gewandert, der eindeutig zu schwer ist. Gestern hatten wir bei der Suche nach Verpackungsmaterial einen Bolivianer kennengelernt, der fliessend deutsch gesprochen und auf meine Wohnortsangabe mit „Ah, die Offenbacher Kickers“ geanwortet hat. Dieser hat uns von dem Versenden mit der hiesigen Post abgeraten, aber mir ist das egal, denn jedes Kilo ist derzeit eins zu viel… Als ich das Paket im Postamt auf die Waage stelle und dies 7,88 kg anzeigt bin ich leicht geschockt! Die Dame vom Zoll und Verpackungsservice macht Druck, da in 10 Minuten geschlossen wird. Wir benötigen noch 2 Kopien unserer Pässe, der Kopierer der gestern noch im Erdgeschoss stand wurde heute warum auch immer   entfernt… Als wir wieder zurück sind, ist die Hektik auf ihren ersten Höhepunkt: Unser Pakete werden in Nylon-Säcke vernährt und ab geht es zum Schalter. Dort zeigt die Waage 8,06 kg. Extra wegen 0,06 kg ein volles Kilo mehr bezahlen? Nein! Also zurück zur Dame vom Zoll, die mich nun beschimpft ich hätte zuviel Klebeband verwendet, weswegen es so schwer sei. Meine Vorsicht ist nicht unbegründet, schliesslich reist mein Paket über den Flughafen von El Alto, wie erwähnt die gefährlichste Stadt Südmerikas! Nachdem ich das Paket erleichtert habe,geht es wieder zurück und nun passt das Gewicht, dafür ist das Formular falsch ausgefüllt. Als dieser Fehler bereingt ist, muss ich noch 15 Bs. Gebühr für den Zoll zahlen. Natürlich habe ich nur das Porto genau passend einstecken. Ich suche Theresa, die vor dem Gebäude steht und von den Sicherheitsmännern nicht mehr hereingelassen wurde. Als nun endlich alles komplett ist gebe ich meine Waren in die Hand der bolivianischen Post. Warten wir ab wann, wie und ob etwas zu Hause ankommt…




¡Buenos Dias Bolivia!

24 12 2010

06./07.12.2010, Tag 62/63

Um 7.30 Uhr fährt unser Bus nach Copacabana. Dabei ist nicht der bekannte Strand Rio des Janeiros gemeint, sondern ein Küstenort am Rande des Titicacasees und auf unserer Reiseroute der Eingang nach Bolivien. Beim Blick auf das Datum fällt mir auf, dass heute Nikolaus und ich genau 2 Monate unterwegs bin. Vom der Zeit her, der Moment wo das was man als Urlaub kennt spätestens vorbei ist. Denn wenn viele es auch gleichsetzen ist Reisen kein Urlaub, sondern eher sowas wie eine Lebensart mit der ich mich in den letzten Wochen ziemlich angfreundet habe. Ausser einem kleinen Hänger, der eher gesundheitlich bedingt war, ist die Reise bisher gezeichnet von unvergesslichen Erlebnissen, die ich mir davor erhofft hatte. Peru war dabei wesentliches Bestandteil, allen voran natürlich Machu Picchu, und Land und Leute haben mich wie zuvor auch in Ecuador fast ausschliesslich positiv überrascht und es ist fast schon ein bisschen traurig, dass dieser Teil des Südamerika-Abenteuers nun vorbei ist. Jetzt erwartet uns Bolivien, eines der ärmsten Länder Amerikas und touristisch noch mit am unerschlossensten, was es umso reizvoller macht.

Am Busbahnhof bringen wir die letzten Soles unter die Leute und dann geht es ab Richtung Bolivia. Neben uns schimmert der Titicacasee, der eher wie ein Meer wirkt, türkis-blau und ich hänge den oben geschilderten Gedanken nach. War die Einreise nach Peru am wenig frequentierten Grenzposten La Balsa noch abenteuerlich, ist die Ausreise am Grenzposten … ziemlich unspektaktulär. Zwar hätte es auch wieder abgelegene Grenzposten, die mit einer Fahrt durch tolle Landschaften verbunden gewesen wären, gegeben, aber da wir unserem Zeitplan etwas hinterherhängen muss es diesmal die Standard-Variante sein. Also geht es rein in den peruanischen Grenzposten, Ausreisestempel holen, 200 Meter hoch durch das gemauerte Grenztor zum bolivianischen Grenzposten, der uns die Namen deutscher Fussballer-Nationalspieler, wie Ballack und Podolski hinwirft, während er freudestrahlend uns den Einreisestempel samt Visa für 30 Tage erteilt.

Dahinter sammelt uns unser Bus wieder auf und bringt uns ins 10 km entfernte Copacabana. Dort sehen wir uns zunächst ein Hostel an, was mit umgerechnet 2,50 Euro die Nacht aufzeigt wie billig das Leben für uns in Bolivien sein kann. Allerdings ist Copacabana nur Durchgangsstation, von wo aus wir raus zur Isla del Sol, der Geburtsstätte der Inkas fahren wollen. Da es gerade Mittagszeit ist überlegen wir noch heute zur Insel überzusetzen. Diesen Plan möchte das Restaurant in dem wir unser Mittagessen zu uns nehmen nicht teilen und so warten wir immer noch auf unser Essen während die Fähre ablegt. Also checken wir nun doch ins Hostel ein, was im Nachhinein mein Glück sein soll… Ich hatte bereits beim Aussteigen aus dem Bus eine leichte Übelkeit verspürt, es aber als Reiseübelkeit abgetan. Damit hatte ich eigentlich nie Probleme, aber seit unserem Rundflug in Nazca ist mein Magen irgendwie nicht mehr so stabil. Details erspare ich hier einmal, aber den Nachmittag verbringe ich dann auf und vor der Toilette. Keine Ahnung was ich mir da wieder eingefangen habe…meine Selbstdiagnose, die ich anhand der Beschreibung verschiedener Krankheitsbilder in meinem Reiseführer betreibe reicht von Pest über Malaria bis Dengue-Fieber. Da ich irgendwie nicht weiterkomme, mich aber auch nicht meinem Schicksal fügen will beschliesse ich mir das Breitband-Antibiotikum einzuwerfen, dass ich in meiner Reiseapotheke habe. Als ich die erste Tablette geschluckt habe stelle ich fest, dass die Packung seit Juni abgelaufen ist…es gibt so Tage da sollte man im Bett bleiben! Da verbringe ich dann den Rest des Abends und stare Löcher in die Decke, da es in dieser Preisklasse natürlich keinen Fernseher gibt. Die einzige Bild ist ein Poster der Argentinischen Nationalmannschaft an der Wand, das so schlecht fotografiert ist, dass ich unzählige Dinge finde, um mich wenigstens kurzzeitig zu amüsieren.

Am nächsten Morgen fahren die anderen dann zur Isla del Sol, worauf ich leider verzichten muss, da ich völlig platt bin. Gegen Mittag unternehme ich einen kurzen Ausflug zum Strand, um wenigstens auch mal am bolivianischen Teil des Titicacsees gewesen zu sein. Der kurze Fussweg zum Ende des Strands, wo die Marine stationiert ist, macht mich schon dermassen fertig, das ich auf weitere Wanderungen verzichte. Insgesamt ist der Titicacaseee von seiner Grösse, dem kristallklaren Wasser und der Lage auf 3.800 Metern Höhe, was damit höher als der höchste deutsche Berg ist, schon beeindruckend. Abends wollen wir dann den Bus nach La Paz nehmen. Da wir eine Stunde zu früh am Abfahrtsort sind, laden wir die Rucksäcke ein und gehen noch kurz was trinken. Um sicher zu gehen, dass wir später keine Zeitprobleme bekommen fragen wir extra vorher, ob es schnell gehen kann. “Si, si, mas rapido!” Und hier wird wieder eines der grossen Phänomene dieses Kontinents demonstriert: Während Dinge wie unsere Choquequirao-Tour, die bei uns mehrere Tage Vorbereitung erfordert hätten, über Nacht organisiert werden, ist es unmöglich innerhalb einer halben Stunde in einer Bar oder Café etwas zu trinken zu bestellen, das dann auch für alle vollständig zu bekommen und sowohl Rechnung als auch Wechselgeld zu erhalten. Ein Ding der Unmöglichkeit.

So steigen wir als letzte kurz vor Abfahrt in den Bus ein und André muss aus Mangel an Sitzplätzen vorne beim Fahrer Platz nehmen. Dies ist allerdings gar keine schlechte Variante, da er so die beeindruckende Aussicht auf den Titicacasee und die Cordilleria im Hintergrund geniessen kann, während sich hinten bei uns die Fenster nicht öffnen lassen. Nach etwa einer Stunde stoppt der Bus plötzlich und alls müssen aussteigen: Hier endet die Strasse und während der Bus auf einer Holzplattform, die hier als Fähre dient übersetzt, gelangen wir in der Dunkelheit mit einem Boot sicher ans andere Ufer, wo wir die Fahrt fortsetzen. Kurz vor La Paz dann auf einmal stockender Verkehr wegen eines Unfalls. Ein Frontalzusammenstoss, was bei den riskanten Überholmanövern eigentlich wenig verwunderlich ist, aber trotzdem das erste mal, dass ich auf dieser Reise so etwas sehe. Wir pasieren El Alto, was als gefährlichste Stadt Südamerikas gilt. Früher war El Alto, dass auf dem Altiplano oberhalb von La Paz liegt, der Stadtteil mit des Flughafens. Um diesen herum wurden grösstenteils illegal Häuser und Baraken errichtet und irgendwann wollte man in La Paz diesen Teil aufgrund seiner Kriminalität nicht mehr haben. Wie sich aber genau verhält kann ich momentan noch nicht nachvollziehen, da z.B. bei Angaben über die Einwohnerzahlen El Alto (1,2 Mio. Einw.) gerne zu La Paz (800.000 Einw.) dazugezählt wird, wohl damit man sich Millionenstadt nennen kann… Auf den ersten Eindruck wird El Alto allerdings recht normal, wie eine etwas runtergekommene südamerikanische Grossstadt, die derzeit in kitschigem Weihnachts-Look erstrahlt. Das erste Anzeichen auf die kommenden Festtage. Nach einem kleinen Imbiss im zum Hostel gehörigen Irish-Pub beziehe ich unser Zimmers ohne Fenster neben der Küche… Mal sehen was uns La Paz morgen zu bieten hat.