Potosi

30 12 2010

16./17.12.2010, Tag 72/73

Um 6.00 Uhr erreichen wir das nagelneue und ziemlich pompöse Terminal von Potosi, der „Stadt am Silberberg“, was zu Beginn des 17. Jahrhunderts die reichste und grösste Stadt Südamerikas war. Man erzählt sich gerne, dass mit dem Silber was die Konquistadoren aus den Minen herausgeholt und in die Heimat verschifft haben, man eine Brücke aus Silber bis nach Spanien hätte bauen können, so viel sei es gewesen. Gleichzeitig könnte man aber auch eine Brücke aus Knochen mit der gleichen Länge bauen, nimmt man die aller Indios und Sklaven, die in den Minen gestorben sind. Neben dieser Ausbeutung hat Bolivien noch unter dem Einfluss seiner Nachbarländer zu leiden: Ein grosses Stück des Staatsgebietes im Westen, inklusive dem wichtigen Zugang zum Meer verlor man im „Salpeterkrieg“ (1879 – 1883) an Chile, grosse Landesteile im Osten fielen im „Chacokrieg“ (1932 – 1935) an Paraguay, sowie weitere Teile an Brasilien und Argentinien. Man muss daher kein Prophet sein, um herleiten zu können, dass Bolivien ohne diese äusseren Einflüsse vielleicht nicht das ärmste Land des Kontinents sein würde. So bleibt den Bolivianern nur aus dem was übrig geblieben ist Profit zu schlagen und den Berg mit der erschöpften Silbermine nach anderen Bodenschätzen zu durchwühlen, bzw. Touristen daran teilhaben zu lassen, und deswegen sind wir hier.

Nachdem wir uns im Hostel noch eine Mütze Schlaf geholt haben, organisieren wir eine Tour zu den Silberminen im Cerro Rico für den nächsten Vormittag und schlendern in der Nachmittagssonne durch die hübsche Altstadt, die einen Einblick in die besseren Zeiten des Ortes hergibt.

Am nächsten Morgen sitzen wir in einem Bus, der uns zur Zentrale des Tour-Organisators bringt, was bei uns eher die Bezeichnung Abstellkammer im Hinterhof bekommen würde^^Dort erhalten wir die komplette Schutzkleidung, sowie Helm und Lampe. Als wir letztes Jahr auf unserer Chile-Reise die Minen von Lota besichtigt haben brauchten wir ausser Helm keine spezielle Kleidung. In dem Moment hätte ich eigentlich ahnen sollen was auf uns zukommt… Zunächst besuchen wir allerdings den „Mercado de los Mineros“ um Geschenke in Form von Getränken, Zigaretten und Dynamit für die Mineros zu kaufen. Es ist der einzige öffentliche Markt der Welt in dem jedermann legal Dynamit kaufen kann. Zusätzlich kommen wir in den Genuss ein Tröpfchen 96 %igen Alkohol zu probieren, den die Bergarbeiter in ihre Limonade mischen, ebenfalls hier erhältlich. An einem Strassenstand erstehen wir dann noch ein paar Packungen Coca-Blätter. Das Kauen der Blätter dieser Pflanze, die u.a. einem bekannten Getränkeunternehmen seinen „Vornamen“ gegeben hat und aus deren Stoffen durch chemische Reaktionen Kokain gewonnen werden kann ist hier weit verbreitet. Man nimmt etwa 15 Blätter formt diese im Mund zu einem Bündel was man in die Backe legt und daran saugt. Der Effekt ist, dass man u.a. die Höhenkrankheit, Kälte oder Hunger nicht mehr deutlich wahrnimmt. Allerdings wurde nachgewiesen, das Coca alleine weder eine Droge ist noch einen Suchteffekt auslöst. Trotzdem ist das Anbauen der Coca-Pflanze in Bolivien ein grosses Politikum, da die USA versucht den Anbau einzuschränken um dadurch den Kokain-Import in das eigene Land in den Griff zu bekommen. Der aktuelle Präsident Boliviens ist selbst ein Coca-Bauer und versucht weitere Anbauflächen für seine Landsleute zu schaffen, da das Geschäft mit der Coca Pflanze, aus der auch das Nationalgetränk „Mate de Coca“ (Tee)¨ hergestellt wird, noch eins der wenigen guten Einnahmequellen ist.

Mit einer dicken Backe voller Coca-Blätter und einer Flasche Alkohol im Gepäck fahren wir zunächst zu einer Fabrik in der die verschiedenen Bodenschätze, welche in der Mine abgebaut werden, verarbeitet werden. Die Maschinen, die dort am Laufen sind würden bei uns wohl in einem Bergbau-Museum stehen… Unser Führer, selbst ein ehemaliger Minero, zeigt uns eine Pfanne in der sich noch ein bisschen Silber befindet und malt uns damit einen Balken auf die Backe. Nach dem Rundgang fahren wir weiter zum Silberberg, wo heute noch knapp 10.000 Bergleute arbeiten. Die Zahl findet sich auch auf der kleinen bolivianischen Flagge wieder, die auf den Helmen zu sehen ist. Daneben ist eine chilenische Fahne mit der Zahl 33 angebracht, welche für die eingeschlossenen Bergleute des Grubenunglücks im chilenischen San José im August diesen Jahres steht und die Solidarität der Mineros ausdrücken soll. Nach 69 Tagen wurden die Kumpel aus ihrem Schutzraum in 700 Meter Tiefe befreit, wir werden heute einen Eindruck davon bekommen wie es sich dort angefühlt haben muss.

Bereits am Eingang zu den Minen, aus denen heute hauptsächlich Zinn und Kupfer herausgeholt werden, ist es eng und niedrig. Neben uns laufen dicke Leitungen in denen allerdings kein Sauerstoff, sondern Druckluft durchgepumpt wird. Das Atmen fällt mir hier schon schwer, da ich immer noch eine Erkältung mit mir herumschleppe. Der Gang wird immer kleiner und wir müssen teilweise auf die Knie herunter um durchzukommen. Die perfekte Grösse für einen Minero habe ich wohl nicht 😉 Wir kommen zu „El Tio“, sowas wie eine heilige Figur oder auch der Teufel, den die Bergleute immer Freitags mit Geschenken bestücken, damit er sie beschützt. Hier ist es heiss und stickig und jemand mit Platzangst hätte hier definitiv grosse Probleme. Wir gehen zurück zum Hauptgang: „Jetzt folgt der enge Teil“ meint unserer Führer. Und ich dachte das war er eben schon… Wir lassen uns in ein Loch im Boden ab und kriechen zwischen den Felsen durch. Scheinbar handelt es sich hier um den Hauptweg in die unteren Ebenen, weshalb ich mich frage warum man diesen nicht etwas grösser macht, wenn er jeden Tag genutzt wird?! Es wird immer enger und durch den von uns aufgewirbelten Staub auch immer stickiger. Ich hatte mir auf dem Mercado noch Handschuhe und eine Halstuch als Mundschutz mitgenommen, wofür ich jetzt extrem dankbar bin. Es geht runter auf die Knie und auf allen vieren weiter. Wenn man jetzt raus will hat man ein Problem, denn da sowohl vor als auch hinter mir kriechende Backpacker sind gibt es keinen anderen Weg als weiter der Gruppe zu folgen (was ich aber sowieso vor hatte). Als ich denke es kann nicht mehr enger werden muss ich mich flach auf den Bauch legen um mich durch eine Felsspalte zu quetschen! Jetzt ist die engste Stelle aber auch erreicht und es wird langsam wieder breiter. Glück, denn wäre es noch enger geworden wäre ich wohl stecken geblieben… Aufgrund der gerade geschilderten Umstände gibt es von den beschriebenen Passagen auch nur wenige Fotos. Nachdem man wieder halbwegs stehen kann kommen wir an ein weiteres Loch im Boden, über dem sich eine alte Winde befindet. Der Führer meint dort würde ein Minero noch so arbeiten, wie es zu Kolonialzeiten üblich gewesen sei. Wir steigen über eine brüchige Leiter ab und im dunklen erkennen wir tatsächlich wie er unermüdlich mit Hammer und Meisel ein Loch in den Fels gräbt um dort sein Dynamit für die nächste Sprengung anzubringen. Es ist unglaublich heiss in der kleinen Höhle und es gibt kaum Luft zum atmen. Nur wenige Bergarbeiter können mehr als 10 Jahre in den Minen arbeiten und die meisten leiden unter starken Gesundheitsschäden, so dass deren Lebenserwartung auf 45 – 50 Jahre sinkt. Ich schenke dem Minero meine Alkoholflasche, wer hier arbeitet hat sich einen starken Tropfen verdient!

Wir gehen zurück und einen halbwegs angenehmen Weg entlang. Verglichen mit den Minen in Chile, wären die Stollen welche wir dort als Risikoreich empfunden haben, hier die besseren. Kaum ein Gang ist abgestüzt und wenn dann mit halb zerbrochenen Balken. Aufgrund der Vielzahl an Stollen, welche in den Berg führen muss dieser im Querschnitt wohl wie ein Schweizer Käse aussehen. Auf dem Boden sammelt sich Wasser und an den Wänden können wir sehen wie sich die Linien bilden denen die Mineros folgen um auf einer grössere Ablagerung zu treffen. Am Ende des Ganges treffen wir auf 5 weitere Bergleute, die hier in der Gruppe arbeiten und verteilen wieder Geschenke. Wir folgen ein Stück den Schienen, auf denen die schmalen Wagen laufen, mit welchen die abgebauten Substanzen zum „Aufzug“ befördert werden. Das ist eine einfache Seilwinde mit der ausschliesslich die Säcke nach oben gezogen werden können. Wer hier reinkriecht muss also auch wieder auf dem selben Weg nach oben. Also machen wir uns auf den Weg durch den engen Tunnel, nun allerdings bergauf! Die Hitze und die nicht zu vergessene Höhe von knapp 4000 Metern auf der sich die Mine befindet lassen diesen Weg zu einer echten „Grenzerfahrung“ werden. Als wir endlich wieder in der oberen Ebene sind treffen wir einen weiteren Minero, der in einem Loch im Boden steht und dieses bearbeitet. Ich schenke ihm den Rest der Coca-Blätter und meine Handschuhe. Ab hier brauche ich sie nicht mehr, denn ich merke schon den Luftzug von draussen. Einmal tief durchatmen, wobei ich sowieso schon ein gefühltes Kilo Staub auf der Lunge habe… Dann Licht am Ende des Tunnels und wir haben es geschafft. Eine interessante aber gleichzeitig extrem anstrengende Erfahrung. Man kann sich nur in Ansätzen vorstellen, wie es den Menschen wohl gehen muss, dass sie jeden Tag auf so einen Arbeitsplatz zurückkehren.

Nachdem unser Führer noch eine Stange Dynamit zur Demonstration gezündet hat, geht es zurück nach Potosi. Meine Nase und Hals sind zu, die Augen brennen und ich habe Kopfschmerzen. Und dabei war ich „nur“ knappe 2 Stunden dort. Unser Bus fährt am späten Nachmittag nicht am luxuriösen Terminal ab, sondern in einer ziemlich zwielichtigen Gegend. Als wir einen Bus der Gesellschaft entdecken freuen wir uns über den hohen Standard, bis wir erfahren, welcher Bus tatsächlich unserer ist… Mit den Rucksäcken auf dem Dach und meinen Knien im Rücken meines Vordermannes geht es, begleitet von bolivianischer Folklore-Musik, raus aus der Stadt und über den Altiplano. Aber ich will mich nicht beschweren, denn ein weiterer Fahrgast der später zusteigt nimmt auf einem Holzschemel im Gang Platz! Ausser zwei Brasilianer und uns befinden sich nur Einheimische im Bus. Hier erleben wir mal wieder ein echtes Stück Südamerika. Auch wenn ich mich wiederhole gleicht die Landschaft, derer die man aus den amerikanischen Western kennt. Ich verbringe die Zeit damit einfach nur aus dem Fenster zu sehen und zu beobachten wie das Bild davor sich verändert. Bei einer Pause kippt der Fahrer einen Eimer Wasser über den Motor und lässt anschliessend die Haube bei der Fahrt einfach offen stehen. So kühlt man in Bolivien 😉 Als wir Nachts in Uyuni ankommen ist zum ersten mal auf dieser Reise ein Hostel ausgebucht. Aber es gibt hiervon ausreichend und so checken wir nebenan ein. Morgen startet dann die Organisation unserer Reise über den Salar de Uyuni und weiter nach Chile 🙂



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