Rio – “Carnaval“

16 03 2011

06./07.03.2011, Tag 152/153

Der Grund warum ich meine Reiseroute geändert habe und jetzt schon 3 Wochen vor Ende der Reise an meinem Abflugsziel bin heisst Carnaval! Da dieser 2011 ziemlich spät stattfindet will ich die Chance nutzen und mir das grösste Fest weltweit ansehen. Dazu muss ich vielleicht vorher erklären, dass der Carnaval hier sich nicht nur in der Grösse sondern auch im Ablauf von der deutschen Variante deutlich unterscheidet. Das was bei uns meist im Fernsehen gezeigt wird mit grossen Umzugswagen und leicht bekleideten Sambatänzerinnen findet nicht auf der Strasse, sondern im Sambadromo, einer Art länglichen Stadion statt. Dann gibt es noch den Strassenkarneval aber dazu später. Samba ist hier neben dem Fussball sowas wie die Volkssportart. Es gibt unzählige Sambaschulen, die direkt in der Woche nach dem Carnaval mit der Vorbereitung für die nächste Saison beginnen. Dabei werden Tänze und Choreografieren einstudiert und die Festwagen gebaut. Dabei kam es vor ein paar Wochen zu einem tragischen Zwischenfall bei welchem die Wagen von mehreren Gruppen niedergebrannt sind und man schon in Erwägung gezogen hat das ganze Fest abzusagen. Die Carnavals-Verrückten Brasilianer haben es aber geschafft innerhalb kürzester Zeit etwas neues auf die Beine zu stellen. Denn es geht hier nicht einfach nur um eine nette Show, sondern das ganze funktioniert wie in einem Ligensystem. Die 1. Liga tritt in der Nacht von Sonntag auf Montag auf und ermittelt einen Sieger, sowie einen Absteiger in die 2. Liga, die heute auftritt. Da die Karten ausverkauft sein sollen und wahrscheinlich auch deutlich teurer sind haben wir uns entschieden unser Glück heute bei den Schwarzmarkthändlern zu versuchen. Schwer zu finden sind diese nicht, denn aufgrund des anhaltenden Regens ist die Nachfrage nicht so gross wie normal. Für knapp 13 Euro bekommen wir dann 3 Karten für die letzte Tribüne, quasi das Finale des Festzugs. Das Sambadromo ist 700 m lang, so dass es knapp 30 Minuten dauert bis die Spitze einer Gruppe vom Start bis ins Ziel marschiert ist. Erst wenn dann die komplette Gruppe mit ihren 3000 – 4000 Personen durch ist, was bis zu 90 Minuten (!) dauern kann, zieht vorne die nächste los. Das erklärt auch warum die Show bis in die Morgenstunden dauert. Insgesamt passen 88.500 Zuschauer in das Sambadromo, die auf 13 Tribünen verteilt sind. Überwacht wird das ganze von Jesus höchstpersönlich, der von dem Cocorvado herabblickt. Warum die Karten so billig waren sehen wir schon von aussen. Aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen ist die letzte Tribüne ein Stück nach hinten versetzt, so dass man nur nach vorne Sicht hat und nicht die komplette Länge der Strecke überblicken kann. Mit unseren Regenponchos suchen wir uns einen Platz auf dem Oberrang und stellen fest, dass es heute bei weitem nicht ausverkauft ist… Aufgrund der schlechten Sicht kann man die Kostüme nur über den Bildschirm beobachten. Von oben erkennt man nur die spektakulären Wagen und kleine Menschen die darauf herumtanzen. Jede Gruppe hat ihre Geschichte, die sie erzählt und dazu gibt es einen eigenen Samba-Song, der in Endlosschleife läuft und das wie gesagt bis zu 90 Minuten… Die Spitze des Zuges bildet immer ein Paar, dann kommen mehrere Tanzgruppen und Wagen (die trotz ihrer Grösse von Hand geschoben werden!) und relativ zum Schluss die Trommlergruppen. Ein sensationelles Spektakel, dem auch einige Prominente beiwohnen. So wird Ronaldinho, der wie gesagt für Flamengo spielt, auf der Leinwand gezeigt und wenig später entdecke ich ihn gegenüber in einer Loge. Die Leinwand ist sehr praktisch, da wir wenigstens so die Tänzerinnen aus der Nähe zu sehen bekommen. Die Brasilianer haben für diejenigen deren Attraktivität erst unterhalb des Kopfs beginnt die Beschreibung “Mulhea Camaran“, “Shrimp Frauen“, da man den Kopf wegwerfen und nur den Rest nehmen soll. Oder sie geben den Spitznamen “Raimundo, feia de cara, bonita de bunda“, was soviel heisst wie hässliches Gesicht aber schöner Hintern. Soviel zum Basiswissen 😉

Die Show ist wirklich der Wahnsinn, aber nach gerade mal vier Gruppen haben wir um 3.00 Uhr dann genug gesehen und machen uns auf den Heimweg. An der Strasse entdecken wir Berge von Kostümen, die von den Teilnehmern einfach weggeworfen wurden. Ich würde behaupten, dass man mit der Masse die alleine heute dort liegt, den kompletten Bürgeler Fastnachtsumzug ausstatten könnte. Wenn ich mehr Platz hätte würde ich einen Satz für meine Berjeler Fans Fastnachtsgruppe mitnehmen, aber leider sind die Kostüme so gross und aufwendig, das schon der Heimtransport hier schwierig wird. Denn da Haleh und ich beide kein Kostüm für den Strassenkarneval haben, decken wir uns nun erstmal ein. Dabei finde ich ein Wikingerkostüm was gut zu meinen äusseren als “Nordmensch“ passt. Draussen auf der Strasse stehen immer noch die Gruppen aufgestellt, die später noch ihren Auftritt haben. Ein paar Meter weiter an der Metrostation liegen neben den Feiernden die Obdachlosen auf der Strasse zugedeckt mit löchrigen Decken und Pappkartons. Einer liegt zusammengekauert mitten auf der Halteplattform für die Busse, das zerissene T-Shirt über Kopf und Knie gezogen. So eng liegen die Unterschiede beieinander in Brasilien. Da werden Kostüme weggeworfen deren Herstellungskosten wahrscheinlich ein ganzes Armenviertel für ein Jahr hätte ernähren können…

Sonntags wollen wir uns den Strassenkarneval ansehen, der zu verschiedenen Uhrzeiten in den jeweiligen Stadtteilen stattfindet. Die ersten beiden Veranstaltungen für den heutigen Tag haben wir leider verschlafen, daher geht es erst gegen Mittag nach Ipanema. Dabei treffe ich mich mit Theresa, die auch gerade in Rio ist und bei der Familie ihrer Freundin Steffi wohnt, die ebenfalls mit von der Partie ist. Eigentlich war geplant, dass sich hier die komplette Reisegruppe nochmal trifft, aber da André nach Kolumbien geflogen und Anja noch in Argentinien ist, ist nun nur die Hälfte vertreten. Den Carnaval da Rua gibt es erst seit ein paar Jahren wieder. Zuvor sind die Einwohner Rios während der Karnevals-Ferien meist verreist um den Touristenhorden aus dem Weg zu gehen. Dann fing man an in einigen Nachbarschaften, was hier der Begriff für Stadtteil ist, Fussmärsche zu veranstalten, die sogenannten Blocos. Bei einem Bloco gibt es ein paar Trommler, oder manchmal auch einen Wagen mit Musik, die das Publikum anheizen, während man durch die Strassen des Viertels zieht. Dabei wird gefeiert, getanzt und vor allem getrunken. Geworfen wird nichts, daher würde ich es vom Ablauf her eher mit der Loveparade als mit einem Umzug in den deutschen Rheinmetropolen vergleichen. Die meisten sind dabei auch verkleidet, aufgrund der Temperaturen aber deutlich dünner als bei uns. Das ist auch so ein Problem, warum ich eigentlich gar nicht in Faschingsstimmung bin, das Wetter passt einfach nicht. Wie schon an Weihnachten und Silvester ist es einfach zu ungewohnt, dass es nicht kalt ist… Vom Bloco in Ipanema bekommen wir leider auch nur noch das Ende mit, also gehen wir an den Strand, wo die Leute noch kräftig am Feiern sind. Abends sehen wir dann das ausverkaufte Sambadromo im Fernsehen, diesmal auch ohne Regen. Doppeltes Pech gehabt…

Am Rosenmontag geht es früh raus, denn heute soll es endlich klappen mit einem richtigen Bloco. Maryams Freundinnen Fernanda und Elena holen uns gegen 9.00 Uhr ab, ich werfe meinen Wikinger über und dann geht es los. Da ich noch kein Frühstück hatte brauche ich erstmal einen Hot-Dog bevor ich mit dem Biertrinken anfange, ich werde alt… Das Primärziel der Stadtverwaltung Rios scheint auf dem Einschränken des “Wildpinkelns“ zu liegen, denn überall weisen Schilder darauf hin und selbst gestern im TV kamen Werbespots dazu. Wir laufen erst am hinteren Teil des Blocos, entscheiden uns dann abzukürzen damit uns der Wagen entgegen kommt. Ich merke den Nachteil meines Kostüms, denn in der Menschenmenge ist es extrem schwer damit durchzukommen. Als wir einen guten Platz gefunden haben dauert es noch eine gute Stunde bis sich der Wagen nähert, dessen Betreiber ein Bierhersteller ist, der eine Dose in Megaformat durch die Strassen schickt. In der Kurve vor uns bleibt der Wagen dann stecken und so spielt die Musik nun direkt vor uns, während aus den oberen Stockwerken der Häuser eine kostenlose Duschen für die schwitzende Menge gibt. Auffällig ist, das Brasilianer dazu neigen sich als Frauen zu verkleiden, ich würde behaupten gut die Hälfte trägt ein Kostüm des anderen Geschlechts und bei der anderen Hälfte ist es ein Renner sich als “Deutscher“ zu verkleiden! Davon kommt mir eine ganze Gruppe entgegen, mit Bayern-Outfit unter blonder Perücke. Ob ich nächstes Jahr als Brasilianer gehen soll 😉

Als wir die Location wechseln wollen, merke ich beim Laufen wie irgendwas an der Knietasche meiner Hose zieht, ich greife nach unten und merke, dass die Tasche geöffnet ist. So schnell es mit meinem voluminösen Kostüm geht drehe ich mich um und sehe einen Typ sich seitlich von mir wegbegeben, Erwischt! Mein Portemonaie, in dem sich aber sowieso nur Kleingeld befindet ist noch da. Nachdem wir etwas gegessen haben geht es nach Botafogo zum nächsten Bloco. Hier gibt es neben dem Festwagen noch eine Bühne auf der Beatles-Songs gespielt werden, ein echter Renner. Unter unseren Begleitern wird heute hauptsächlich portugiesisch gesprochen und ich bin froh, das Haleh dabei ist. Wenn wir mal wieder länger nichts verstanden haben sagt dann einer von uns zum anderen: “Hey, they make this funny voices again“ um dezent darauf aufmerksam zu machen, dass wir die Sprache nicht verstehen. Die Tour endet am frühen Abend, auch bedingt dadurch, dass das recht dünne brasilianische Bier auf mich irgendwie eine einschläfernde Wirkung hat und ich gegen sieben kaum noch die Augen offen halten kann… Damit endet dann das Kapitel “Karneval in Rio“. Ein Riesenspektakel und absolut sehenswert, aber man muss eine Leidenschaft für Samba haben und ordentlich trinken um wirklich mitziehen zu können.

Wir widmen uns dann ab morgen wieder den anderen Highlights die Rio des Janeiro zu bieten hat und das sind nicht wenige




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