Pichincha
14 10 201011.10.2010
Wieder früh aufstehen, und das obwohl ich doch eigentlich frei habe…aber heute steht die Besteigung des Pichincha direkt über Quito an. Mit dem Teleferico, einer Seilbahn, fahren Theresa und ich zum Aussichtspunkt auf 4100 m. Derzeit machen wir die meisten Aktivitäten zu zweit, da Anja das meiste schon gesehen und André gestern erst angekommen ist und wir ihn nicht gleich auf fast 5000 m hochschleppen wollen.
Das ist nämlich das Ziel des heutigen Tages: Hoch auf den Gipel in 4794 m Höhe. Ein guter Test wie sich das mit der Höhenluft so verhält, da es hier noch einige interessante Berge gibt, die für Anfänger vergleichsweise leicht zu besteigen sind. Wir hatten darüber nachgedacht einen Führer zu engagieren, da in den Reiseführern aber steht das der Pichincha leicht zu besteigen ist verzichten wir darauf. Was „leicht“ in Südamerika-Reiseführern bedeutet, hätte ich eigentlich wissen sollen… Im Teleferico lernen wir zwei deutsche kennen, einer von beiden war schon zwei mal oben und will demnächst auf den Cotopaxi, vom Erdmittelpunkt gemessen der höchste Berg der Welt. Oben frühstücke ich erstmal und stelle fest, dass ich ausser meinen beiden Brötchen keine richtige Nahrung eingepackt habe, obwohl wir min. 5 Std. unterwegs sein werden.
Wir wandern über mehrere Hügel richtung Berg, relativ langsam, da man den Höhenunterschied anhand der Luft sofort merkt. Nach ca. 1,5 Std. kommen uns die beiden deutschen aus der Seilbahn entgegen. „Wart ihr schon oben?“ frage ich. „Nein, das Wetter ist zu schlecht, direkt hinter dem Berg wo der Weg langführt ist es zu stürmisch!“ Hmm, wenn das einer sagt, der schon zweimal oben war sollte man vielleicht darauf hören…allerdings sind die beiden in Shorts, Turnschuhen und Sommerjacken unterwegs. Wir sind dagegen recht gut ausgestattet, denn wenn ich eins bei unserer Villarica-Besteigung letztes Jahr gelernt habe: Man kann am Berg nie zuviel Kleidung dabei haben! Wir besprechen uns kurz, beschliessen den Aufstieg zu versuchen und ziehen alles an was der Rucksack hergibt. Zum Glück habe ich meine Mütze eingepackt, nur die Handschuhe habe ich dummerweise im Zimmer liegen gelassen, ein fataler Fehler…
Theresa geht ein Stück vor, ich ziehe mich noch fertig an, als plötzlich ein Adler über mir kreist. Schnell die Kamera raus, vielleicht erwische ich ihn noch aus der Nähe. Aber es kommt noch besser: Nach einer weiteren Runde setzt der Vogel zur Landung an und sitzt ungefähr 2 m von mir entfernt, beobachtet mich und kommt auf mich zu. Wahnsinn! Wo kann man so ein Tier in der freien Natur auf diese Distanz sehen?! Unser neuer Freund soll uns dann noch den Rest des Tages begleiten, vielleicht als Glücksbringer 😉
Nachdem wir die Hügel hinter uns gelassen haben, schlängelt sich der Weg an der Felswand entlang. Es ist wie die beiden angekündigt haben ziemlich stürmisch und wegen der Luft müssen wir viele Pausen einlegen und kommen nur langsam voran. Die Vegetation wird auf einmal wieder ziemlich bunt, wo bisher fast nur Gras gewachsen ist stehen nun Blumen und Sträucher. Wir kommen an einer kurze Steilwand, die wir mit Klettern ohne Probleme überwinden können. Ein Schweizer in voller Bergmontur kommt uns entgegen gerannt und meint in 30 Min. seid ihr oben! Eine willkommene Motivation, doch kurz später treffen wir einen Engländer, der wohl eher unserem Leistungsniveau entspricht, der meint min. 1 Std. Puh, immerhin sind wir schon über 2 Std. unterwegs. Aber die beiden sind bisher die einzigen, die es heute auf den Gipfel geschafft haben.
Wir kommen an ein Geröllfeld, von dem uns die beiden aus der Seilbahn erzählt haben. Wahrscheinlich der schwierigste Teil nach oben, kein halt und kein Weg ist mehr erkennbar. Ein Pakistani kommt uns entgegen und meint er habe den Weg nicht gefunden. Das macht mich schon mal nachdenklich, das von einem zu hören, der in seiner Heimat die höchsten Berge der Welt vor der Tür hat. Aber egal, versuchen wollen wir es und so kämpfen wir uns im wahrsten Sinne des Wortes durch das Geröllfeld. Ungefähr eine Stunde brauchen wir, bis die Steilwand unterhalb des Gipfels erreicht ist. Die körperliche Anstrengung ist nicht das Problem, nicht vergleichbar mit der Tour auf den Villarica letztes Jahr in Chile, aber die Luft wird immer dünner uns sobald man etwas schneller geht ist man sofort ausser Atem. Langsam merke ich auch den Hunger und mein Wasservorat geht auch zur Neige. Ich muss einen paar Minuten auf Theresa warten. Es ist richtig kalt, ich sehe meinen Atem. Die Fingerspitzen spüre ich kaum noch, also stecke ich mir die Hände zum aufwärmen erstmal da hin wo es am wärmsten ist…sicher eiun Bild für die Götter wenn mich jetzt jemand sehen könnte 😉
So, jetzt nochmal klettern. Ziemlich steil und ohne Absicherung, aber wir wollen hoch, also auf geht´s! Ohne zu wissen wo es wirklich weiter geht hängen wir in der Wand. Nach etwa 15 min. Kletterei sehe ich eine Felsen mit einer Markierung – das muss der Gipfel sein! Und tatsächlich, nach fast 4 Std. stehen wir auf 4794 m!
Zunächst ist alles bewölkt, doch dann reisst die Wolkendecke auf und gibt einen atemberaubenden Blick in den Krater, auf Quito und den Cotopaxi im Hintergrund frei. Dafür hat sich der Aufwand wirklich gelohnt, das ist quasi die Belohnung. Theresa steigt als erstes ab, ich mache noch ein paar Fotos und gehe dann hinterher. Irgendwie halte ich mich zu weit rechts und finde den Weg auf dem wir hoch gekommen sind nicht mehr. Ich versuche eine Felsspalte, finde keinen Tritt und gehe wieder ein Stück hoch. Auch an der nächsten Stelle fehlt mir der Halt, allerdings befindet sich 2-3 m unter mir ein kleiner Absatz aus Geröll. Springen? Schnappsidee! Falls ich mir nichts breche, brauche ich nur ein Stück zu weit zu rutschen und stürze den ganzen Hang hinunter. Eine Gruppe Schweizer, die nach uns die letzten sind, die es auf den Gipfel schaffen, kommt gerade vorbei und rät mir wieder hoch zu steigen.
Nochmal hoch und weiter suchen…ich halte mich mit den Armen zwischen zwei Felsen, so dürften es unter meinen Füssen vielleicht noch 1,5 m sein. Hoch kann ich jetzt sowieso nicht mehr und in Gedanken bei unserem Abstieg im Conguillio-Nationalpark letztes Jahr setzte ich zum „Martin-Rieche-Gedächtnissprung“ an. Einen Bruchteil einer Sekunde finde ich mich auf dem Absatz wieder uns komme auf der Seite rutschend kurz vor der Kante zum stehen. Gebrochen ist nichts, zum Glück habe ich auf die Leute gehört die mir knöchelhohe Schuhe empfohlen haben (danke Christoph!). Meine rechte Hand ist aufgeschürft, da wären Handschuhe auch nicht verkehrt gewesen. Genauso mein Schienbein und mein Hinterteil. Und meine unkaputtbare Jogginghose hat ein Loch, zum Glück habe ich auf Anja gehört und nicht meine einzige Jeans angezogen.
Ich verarzte die Wunde notdürftig und rutsche das Geröllfeld runter, wo Theresa wartet und sich wundert warum ich so lange gebraucht habe. Ich berichte dann von meiner neuen Sportart, dem „Mountain-Jump“. Und zumindest bin ich der erste aus unserer Truppe, der seinen Reiseapotheke tatsächlich gebrauchen kann. Der Rest des Abstiegs verläuft ohne grössere Probleme und kurz vor der Seilbahn-Station bekommen wir noch einen komplett freien Blick auf den ca. 200 km entfernten Cotopaxi, ein Postkarten-Motiv!
Unten holen uns die Schweizer wieder ein und wir fahren, nach einem kurzen Smalltalk über den Gipfelsturm, mit dem Shuttle an die Hauptstrasse. Da es dort ausnahmsweise überhaupt keine Taxen gibt, laufen wir ein Stück Richtung Innenstadt durch ein ziemlich ärmliches Viertel. Jetzt wäre ein Taxi nicht schlecht… Nach ca. 20 min. hält ein leeres neben uns, dummerweise ohne Registrier-Nr. auf der Tür, also eins von denen die man eigentlich nicht nehmen soll. In dem Moment ist uns aber alles egal. Wir steigen ein und sagen „Quicentro“. Das riesige Einkaufszentrum direkt bei uns um die Ecke kennt eigentlich jeder. Nach 10 Min. sehen wir das Flughafen-Schild, irgendwas stimmt hier nicht! Ich hole meinen Stadtplan raus, zeige ihm auf der Karte wo wir hinwollen, er tut ganz überrascht und meint „Aah, Quicentro!“ – Ja, was habe ich denn gesagt?! Langsam erkennen wir das Viertel wieder und erkennen, dass er mit uns eine „Stadtrundfahrt“ macht. Also ganz klar so eine Touri-Abzock-Masche. Als wir das Center sehen steht auf dem Taxometer 4.50 $. Zwar nicht teuer, aber morgens hatten wir 3 $ bezahlt und da uns der Umweg ziemlich absichtlich erscheint, drücken wir ihm eben diesen Preis in die Hand und steigen direkt vor einer belebten Bushaltestelle aus und verdrücken uns, den schimpfenden Taxifahrer im Hintergrund, durch die Menge.
Nach dem duschen verarzte ich erstmal meine Wunden. Da ich für das Bein keinen grossen Verband habe muss mein Küchenhandtuch herhalten. Dann betrachte ich mich im Spiegel von hinten, das wird ein Spass. Wer sich schon mal selbst dort verarztet hat weiss was ich meine…und damit dann morgen im Bus sitzen. Abends beschliessen wir unsere eigentliche Route, die uns an den Cotopaxi und den umliegenden Nationalpark gebracht hätte, umzuwerfen (ich habe auch gerade mal wieder genug von Bergen ;)) und erstmal an die Küste nach Puerto Lopez zu fahren.
Kategorien : Ecuador